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Abschied vom Ziegenmelker?

Wiss. Publikationen, Natur- und Vogelschutz
marionvier
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Abschied vom Ziegenmelker?

#1

Beitrag von marionvier »

Die Deutsche Ornithologen-Gesellschaft (DO-G) hat eine neue Artenliste der Vögel Deutschlands veröffentlicht. Auf der Webseite der DO-G kann die Liste unter der Rubrik "Aktuelles" heruntergeladen werden. Mitglieder des Club 300 können sich auch im Forum des Club 300 (mit Beiträgen von Mathieu) informieren.
Eine Reihe der wissenschaftlichen Namen (hier insbesondere auch die Meisen!) wurden geändert. Das betrifft auch uns bei der Auflösung von Rätseln, in denen ja gerne die Kürzel der wissenschaftlichen Namen verwandt werden. Was einige Vogelbeobachter schmerzt ist die Änderung einiger deutscher Vogelnamen. Beim Ziegenmelker scheint sich Widerstand abzuzeichnen. Den Ziegenmelker (jetzt Nachtschwalbe) scheinen doch viele nicht missen zu wollen.
Unser Mathieu hat sich besonders mit diesem Thema befasst. Vielleicht kann Mathieu diesen Beitrag ergänzen?

Grüße
Marion
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martinmiethke
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#2

Beitrag von martinmiethke »

Naja, gegen Nachtschwalbe habe ich auch nichts. An Ziegenmelker haben wir uns halt gewöhnt – aber eigentlich ist der Name doch wirklich Unsinn. Der ist ja nur aus einem Irrglauben entstanden …

Herzliche Grüße – Martin

PS: Ich hatte den Betreff erst anders verstanden und einen richtigen Schreck gekriegt …
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Maffong
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#3

Beitrag von Maffong »

Hallo Marion,
ja ich habe die neue Liste schon im Clubforum thematisiert, denn nicht wenige der Entscheidungen führen bei mir zu Unverständnis oder ich würde einen anderen Ansatz begrüßen. Die betreffenden Publikationen finden sich hier
Inzwischen hat ja auch einer der Autoren (übrigens ein Freund von mir) Stellung zu meiner Kritik bezogen und einiges versucht klarzustellen. Dennoch kann ich mich nicht mit der neuen Liste anfreunden, dabei habe ich ihr schon seit langem entgegengefiebert.

Folgendes hat sich geändert:
Es wird nun der systematischen Autorität der International Ornithological Union (IOC) gefolgt, so wie es viele andere Länder in Europa bereits vorgemacht haben. Ich und viele andere Ornithologen begrüßen diesen Schritt, denn er führt zu mehr Klarheit und Eindeutigkeit in der Welt. Änderungen an der Weltliste werden regelmäßig und nachvollziehbar dem neuesten Stand der Wissenschaft angepasst. https://www.worldbirdnames.org/
Es ergeben sich eine Reihe von taxonomischen Änderungen, die auch in der Begleitpublikation gut zusammengefasst werden, großteils aber schon etliche Jahre in der ornithologischen Welt bekannt sind.

In Zusammenarbeit mit dem IOC hatte sich vor langer Zeit auch eine Kommission „Deutsche Namen für die Vögel der Erde“ in der DOG gebildet. Details zur Kommission und ihren Grundsätzen finden sich hier: https://www.do-g.de/die-do-g/kommission ... erde/?L=86
Während die meisten Arbeitsgrundsätze schnell einleuchten, so habe ich persönlich meine Schwierigkeiten den SInn hinter Grundsatz Nummer 6 zu erkennen:
Getrennt geschriebene Namen sollten zusammengezogen werden, aus mehr als drei Wörtern zusammengesetzte Namen sind mit Bindestrich zu schreiben.
Folgende Änderungen der deutschen Artnamen ergeben sich:
Neubenennungen aufgrund von Splits:
  • Corysturmtaucher
  • Barolosturmtaucher
  • Graukopf-Purpurhuhn
  • Ligurien-Bartgrasmücke
  • Alpenbirkenzeisig und Taigabirkenzeisig
Ich glaube nicht, dass es hier viel Diskussionbedarf gibt.

Neubenennungen um irreführende oder diskriminierende Namen zu vermeiden und Verwandschaften zu verdeutlichen:
  • Kappensturmtaucher statt Großer Sturmtaucher
  • Noddi statt Noddiseeschwalbe
  • Schwarzsteppenlerche statt Mohrenlerche
  • Katzenspottdrossel statt Katzenvogel
  • Grauwangen-Musendrossel, Zwerg-Musendrossel und Einsiedler-Musendrossel statt Grauwangendrossel, Zwergdrossel und Einsiedlerdrossel
  • Grünmantel-Waldsänger statt Grünwaldsänger
  • (Braunkopf-Kuhstärling statt Kuhstärling)
Mit diesen Änderungen kann ich leben, auch wenn ich besonders die Neubennungen von Katzenvogel und den amerikanischen Drosseln wesentlich unschöner und sperriger finde. Waren Änderungen wirklich notwendig?

Neubenennungen um Grundsatz Nummer 6 zu entsprechen:
  • Dunkelsturmtaucher statt Dunkler Sturmtaucher
  • Kleinsumpfhuhn statt Kleines Sumpfhuhn
  • Brachvogel statt Großer Brachvogel
  • Anadyrknutt statt Großer Knutt
  • Tundraschlammläufer und Moorschlammläufer statt Großer Schlammläufer und Kleiner Schlammläufer
  • Gelbschenkel statt Kleiner Gelbschenkel (und Tüpfelgelbschenkel statt Großer Gelbschenkel)
  • Dunkelwasserläufer statt Dunkler Wasserläufer
  • Kanadabergente statt Kleine Bergente
  • Pharaonenibis statt Heiliger Ibis
  • Rotgesichtlöffler statt Afrikanischer Löffler
Wie schon gesagt, verstehe ich den Sinn hinter Arbeitsgrundsatz 6 und damit auch hinter den Neubennnungen nicht. Bei mir wird dies für etliche Jahre zu Verwirrung führen, ich werde mir nie merken können welcher eigentlich welcher Schlammläufer ist, werde bei Gelbschenkel intuitiv erstmal an den Großen Gelbschenkel denken. Ich habe vorher noch nie vom Anadyr gehört, fand daher den Namen Großen Knutt einfacher nachzuvollziehen und zu merken. Der Name Großer Brachvogel ist im kollektiven Bewusstsein vermutlich ähnlich tief eingeprägt wie der Fischreiher und an die anderen Namen war man halt ainfach sehr gut gewöhnt. Würde dieser Grundsatz auf andere Tiergruppen ausgeweitet hätten wir bald einen Weißhai, einen Afrika-Elefanten oder eine Griechenland-Landschildkröte. Aber zu welchem Zweck?

Und zu guter letzt gibt es die Änderung von Ziegenmelker zu Nachtschwalbe. Der Name ist wissenschaftlich gesehen immer noch unkorrekt und eine Notwendigkeit zur Umbenennung gibt es nicht. Ich glaube nicht, dass heutzutage noch irgendjemand glaubt, dass der Vogel Ziegen melkt. Das angeführte Argument zur Vereinheitlichung der Namen halte ich für an den Haaren herbeigezogen, denn a) wird es nicht konsequent angewandt, vgl. z.B. Amsel, Zilpzalp, Teich- und Blässhuhn, Sanderling, Skua uvm. b) wird derzeit nicht nur Caprimulgus europaeus Ziegenmelker genannt (wie in der Publikation behauptet), sondern auch Rothalsziegenmelker, Nubischer Ziegenmelker, Pharaonenziegenmelker und andere, und c) wird hier die Etymologie, die bis zu den alten Griechen zurückreicht und immer im wissenschaftlichen Namen Caprimulgus (=Ziegenmelker) verewigt bleiben wird missachtet. Andere Vögel dürfen ihre irreführenden Namen ja auch behalten (z.B. Grasmücken, Tölpel, Teichhuhn, u.a.).
Meiner Meinung nach werden mit diesen unnötigen Entscheidungen mehr Sympathien für Entscheidungen der DO-G verspielt, als dass Klarheit geschaffen wird. Und die Namen vieler Vögel verlieren ihren Charme...

Das wäre es erstmal zu den Umbenennungen. Es lässt sich etliches zu anderen Entscheidungen (Ausnahmeerscheinungen, Neozoen, ship-assisted, Streichung Madeirawellenläufer) schreiben, für heute soll es aber erstmal reichen.

MfG Maffong
Zuletzt geändert von Maffong am 23 Jan 2019, 22:23, insgesamt 1-mal geändert.
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florian
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#4

Beitrag von florian »

Danke Matthieu für die Übersicht!
Muss ich mir bei Gelegenheit mal genauer anschauen.

Ich bin da wohl eher gleichgültig (bin ja auch kein Ornithologe, nur Vogelgucker), dass die Namen ständig und nicht immer verständlicherweise geändert werden, kennt man ja auch von den englischen Namen und den wisschenschaftlichen sowieso. Bei all den Exoten und Vagranten ist es ja auch irgendwie egal, kann sich eh keiner merken :lol: Aber Ziegenmelker, sowas versteh ich auch nicht. Und wenn es noch so logisch begründet wäre, warum muss man gebräuchliche Namen ändern?

Aber:
Gelbschenkel statt Kleiner Gelbschenkel (und Tüpfelgrünschenkel statt Großer Gelbschenkel)
Echt? Tüpfelgrünschenkel ist doch der Nordmann's Greenshank?
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Maffong
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#5

Beitrag von Maffong »

Huch, da sieht man mal was für ne Verwirrung hier gestiftet wird. Gemeint ist natürlich TüpfelGELBschenkel

MfG Maffong
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Maffong
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#6

Beitrag von Maffong »

Ich mach mal weiter mit den Neozoen (Kategorie C-Arten).
In der alten Artenliste von 2005 standen bisher folgende Arten drin:
  • Schwarzkopf-Ruderente
  • Kanadagans
  • Nilgans
  • Rostgans
  • Mandarinente
  • Jagdfasan
  • Straßentaube
  • Halsbandsittich
2016 veröffentlichte die "Fachgruppe Neozoen" der DO-G eine Revision der nationalen Statuseinstufungen. Hierbei wurden verschiedene Kriterien angewandt, allen voran ein Zeit- und ein Generationenkriterium. Eine Vogelart galt demnach als etabliert, wenn sie sich seit mindestens 25 Jahren oder 3 Generationen freilebend in Deutschland fortpflanzen konnte. Die Ergebnisse wurden u.A. im Club300-Forum viel diskutiert, häufiger wurde der Vorschlag genannt, das Kategorie C-Arten nicht mehr gerankt werden sollten. Im Endeffekt wurden dann aber die Kategorie C-Arten ins Ranking mit aufgenommen, zum Unmut einiger, aber wie sich schnell zeigte, zur Freude anderer. Über zwei Jahre wurden nun also diese neuen Neozoen von hunderten Birdern aus dem In- und Ausland aufgesucht, beobachtet und gerankt. Es handelte sich um folgende Arten
  • Schwarzschwan
  • Schneegans
  • Streifengans
  • Großer Alexandersittich
  • Gelbkopfamazone
  • Schwanengans
  • Heiliger Ibis
Zusätzlich wurde noch der Habichtskauz aufgrund einer Publikation im Jahr 2008 hinzugefügt.

Besonders der Heilige Ibis verwirrte, da die Angaben in der Publikation verwirrten. Er stand auf der deutschen Liste, ohne dass der Nachweis erbracht wurde, dass je ein Vogel aus den lange etablierten Populationen in Frankreich oder Italien den Weg nach Deutschland geschafft hätte. Auch der Status der Chileflamingos und Rosaflamingos stiftete Verwirrung, sie erfüllten alle Kriterien, wurden aber wegen eines Elektrozauns (wie es ihn auch für Lachseeschwalben oder Wiesenweihen gibt) nicht als vom Menschen unabhängig angesehen. Wie gesagt gingen die Meinungen zu den Neozoen weit auseinander, manch ein Birder zog sich wohl infolgedessen aus dem Club300-Ranking zurück. Der Großteil der Birder arrangierte sich aber nun mit dem neuen Status.

In der neuen Artenliste der DO-G wurden dann jetzt nahezu sämtliche Entscheidungen hierzu rückgängig gemacht. Lediglich die Streifengans verbleibt in Kategorie C5, da sie in den Niederlanden als etabliert gilt und Vögel von dort manchmal in Deutschland auftauchen.
Begründet wird die Rückgängigmachung vor allem durch "biologisch-fachliche" Einschätzungen, die Definition für eine Kategorie C-Art wurde extra hierfür angepasst.
Die Verwirrung war daher groß. Es wurde auch behauptet, dass man sich mit der Herangehensweise europäischen Standards annähern würde, doch das ist mindestens streitbar, denn so etwas wie europäische Standards gibt es kaum. Die sehr gut nachvollziehbaren Kriterien in Bauer et al. hätten hier ein guter Ansatzpunkt für andere europäische Kommissionen sein können. Stattdessen befindet man sich jetzt in einem verwirrenden Hickhack, dass kaum einer vernünftig durchblickt. Die Vögel interessiert das reichlich kaum, sie vermehren sich (mehr oder weniger) munter weiter in ihren neuen Lebensräumen.
Ich kann beide Seiten gut verstehen, diejenigen, die sagen, dass eine Nilgans viel eher Teil der deutschen Avifauna ist als eine Schwanengans. Ob jedoch Mandarinenten so viel mehr Teil der Artenliste sind als Streifengänse, das glaube ich nicht. Ich verfolge deshalb einen pragmatischen Ansatz und unterstütze inzwischen den Ansatz von Bauer et al. einer statistischen Einstufung. Dies hat folgende Vorteile:
a) Dies ist die objektivste Möglichkeit einer Status-Einstufung, seitenlange Gutachten und Diskussionen in Fachjournalen werden obsolet.
b) Der Ansatz ließe sich problemlos auf Europa und die Welt ausweiten
c) Die Neozoen erhalten wesentlich mehr Aufmerksamkeit, was einen immensen Erkenntnisgewinn mit sich mitbringt. Diesen letzten Punkt halte ich für den wichtigsten, wenn er auch eigentlich auf den ersten Blick wenig wissenschaftlich erscheint.

MfG Maffong
Bodo
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#7

Beitrag von Bodo »

martinmiethke hat geschrieben:
23 Jan 2019, 20:11
Naja, gegen Nachtschwalbe habe ich auch nichts. An Ziegenmelker haben wir uns halt gewöhnt – aber eigentlich ist der Name doch wirklich Unsinn. Der ist ja nur aus einem Irrglauben entstanden
Da bin ich ganz anderer Meinung. Ich hatte bisher nichts dagegen, dass einige Leute Nachtschwalbe sagen. Ich bin aber empört, dass der Name Ziegenmelker jetzt getilgt werden soll. Nachtschwalbe ist ein genauso "unsinniger Name". Die Argumente aus ornithologischer Sicht hat Maffong ja schon ausführlich dargelegt.

Aber der Name "Ziegenmelker" gehört nicht nur den Ornithologen ( bei einigen anderen Vogelnamen mag das allerdings de facto teilweise so sein) , sondern er ist Teil des allgemeinen deutschen Sprachschatzes. Ich spreche einer kleinen Gruppe der Gesellschaft / einem Gremium / einer irgendwie zusammengesetzten Institution einfach das Recht einer solchen Namensänderung ab.

Sprache verändert sich zwar ständig, lebt quasi. Nicht mehr gebrauchte Wörter verschwinden allmählich und neue kommen hinzu. Das ist aber ein organischer Prozess und kann nicht durch "Dekrete" ersetzt werden. Die letzte gerechtfertigte Sprachveränderung "von oben" war die (versuchte) Vereinheitlichung der deutschen Schriftsprache (ca.) im 16. Jahrhundert ( mit wesentlichem Anteil Luthers durch seine Übersetzung des Neuen Testamentes). Danach war keine institutionell eingeführte Sprachänderung mehr wirklich notwendig und erfolgreich. Eine Rechtschreibreform jagt die nächste. Man soll Sprache einfach leben lassen ( zum Leben gehört auch der Tod, oft als Voraussetzung für Neues).

"Ziegenmelker" ist ein allgemein gebrauchtes quicklebendiges Wort. Den Ursprung aus einem sogenannten "Irrglauben" sollte man lieber als Zeugnis der Kulturgeschichte, der Gesellschaftsentwicklung, insbesondere der ökonomischen Geschichte der landwirtschaftlichen Flächennutzung sehen. Im Deutsch- oder Geschichtsunterricht könnten da die Lehrer den Schülern spannende und lehrreiche Geschichten erzählen.

Gruß Bodo
marionvier
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#8

Beitrag von marionvier »

Danke Mathieu für deinen ausführlichen und fundierten Beitrag. Du hast dir viel Zeit genommen, ich weiß das zu schätzen! Eine Kopie deiner Kommentare liegt nun in meinem Svensson.
Im Rahmen einer Recherche zur "Östlichen Klappergrasmücke" habe ich mich erstmals mit der Systematik und Taxonomie der Vögel beschäftigt. Eine sehr spannende Geschichte- finde ich!

Der Beitrag von Bodo spricht mir aus dem Herzen, nur so schön hätte ich es nicht ausdrücken können.

Grüße
Marion
kickbiker
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#9

Beitrag von kickbiker »

Natürlich gibt es Gründe für Festlegung deutscher Namen z.B. Splits etc. Aber ansonsten ist das Bestreben deutschen Namen eine systematische Form zu geben überflüssig.
An Jahren schon etwas älter habe ich schon mehrere Änderungen der deutschen Namen erlebt Die Argumente waren im Prinzip immer die selben. In meiner Jugend wurden aus Bläss-, Teichhuhn und die Sumpfhühner Bläßralle, Teichralle, Kleinralle usw. Der Grund: Das sind keine Hühner! Später wurde das wieder zurückgedreht. Da man in der Jugend besser lernt, fiel mir die Rückgewöhnung schwer, obwohl ich diese Änderung nie gemocht habe.

Das jetzt wieder ein volkstümlicher Name – Ziegenmelker - dieser Begründung zum Opfer fällt, ist vor diesem Hintergrund ein Schildbürgerstreich. Die deutschen Namen sind nicht für die Systematiker, sondern vor allem zur Verständigung mit den normalen Bürgerinnen und Bürger. Und gerade für diese ist der mystische Ziegenmelker mit der zugehörigen Geschichte noch ansprechender und einprägsamer als die geheimnisvolle Nachtschwalbe (z. B. bei Exkursionen und Vorträgen).

Solche Kriterien angelegt, müsste man die englischen Namen der meisten Entenarten ändern.

Liebe Grüße
Rüdiger
marionvier
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#10

Beitrag von marionvier »

Hallo Mathieu!

Ein Satz deines Beitrages im Club 300 gefällt mir besonders gut:

"Regelmäßig brütende Alexandersittiche, Schnee- und Striefengänse in Deutschland stellen biologisch viel spannendere Ereignisse dar als beispielsweise Einzelfälle bei Brillengrasmücke, Kappenammer oder Zitronenstelze, die einfach nur stochastische Zufälle darstellen. (Nicht, dass ich mich über den Fund solch eines Falles nicht freuen würde)." -Zitat Ende

Die einzige mir einleuchtende deutsche Neu-Namensgebung:
Schwanzmeise
-Streifenkopf-Schwanzmeise
- Weißkopf-Schwanzmeise.
Hier ist Kompetenz für die Namensgebung vorhanden. Ansonsten kann man nur auf den Beitrag von Bodo verweisen.

Schöne Grüße
Marion
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Maffong
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#11

Beitrag von Maffong »

Hallo Marion,
danke für dein Lob. Dass du dich gerade zur Sibirischen Klappergrasmücke versucht hast einzulesen ist "mutig", denn es gibt kaum einen verwirrenderen Komplex. Soweit ich das richtig erinnere sind in der Klappergrasmücke wie wir sie kennen 3 oder 4 Arten zusammengefasst, die sich optisch extrem ähneln, aber nach genetischen Untersuchungen nicht mal die nächsten Verwandten voneinander sind. Irgendwelche Unterscheidungsmerkmale wurden bisher kaum erarbeitet, nur der Weißanteil im Schwanz und die Jahreszeit der Beobachtung sind recht gute Kriterien um sie in Deutschland zu entdecken (zusätzlich noch ein paar schwammige Merkmale wie Gestalt und Mantelfärbung). Insgesamt ist es schwer bei den vielen verschiedenen Artkonzepten, den Variationen innerhalb von Gattungen und Arten und den genetischen Erkenntnissen durchzublicken. Wusstet ihr, dass weder die verschiedenen Birkenzeisige noch Fichten-, Schottischer und Kiefernkreuzschnabel nach genetischen Untersuchungen Artstatus verdienen würden? Oder dass die Spatelraubmöwe anscheinend näher mit der Skua als mit der Schmarotzerraubmöwe verwandt ist?
Aber zum Glück sind das ja alles keine Entscheidungen mehr über die die DO-G entscheiden muss, die Zuständigkeit für solche Fragen wurde ans IOC abgegeben.
Man hatte die Zuständigkeit für Neozoen auch mal an eine interne Fachgruppe abgegeben. Offenbar gefielen den Machern der Liste aber nicht die Ergebnisse der Fachgruppe und man setzte sich über ihre Erkenntnisse/Entscheidungen hinweg. Ich finde hier wurde der falsche Weg gewählt, es wurde die Autorität der Fachgruppe massiv untergraben. Korrekter wäre eine öffentlich nachvollziehbare Korrespondenz in Fachmagazinen, in denen die Vor- und Nachteile eines anderen Ansatzes vernünftig ausdiskutiert werden und anschließend eine Einzelfallbetrachtung vollzogen worden wäre. Es wäre sehr nachvollziehbar gewesen den Heiligen Ibis zu streichen. Es hätte gute Gründe gegeben die Schwanengans zu streichen. Aber die Erklärungen für die anderen Arten empfinde ich als dürftig, teils fehlen sie ganz.
Herr Barthel schrieb einst einen Aufsatz darüber welchen Erkenntnisgewinn uns das Sammeln von Daten von Seltenheiten bringt. Dass solche Ausnahmegäste, ganz egal wie selten und zufällig sie auftauchen, auf der deutschen Liste geführt werden ist kein Diskussionthema. Ich frage mich jedoch, welche Erkenntnisse mehr Informationsgehalt bergen: Die Erkenntnis, dass sich seit über 25 Jahren Alexandersittiche in Deutschland und anderen europäischen Städten halten und vermehren können, dabei mit Halsbandsittichen konkurrieren und sich neue Subpopulationen bilden. Oder, dass vor hundert Jahren mal eine Einfarbdrossel auf Helgoland geschossen wurde.
Wusstet ihr, dass in den Niederlanden eine Population mit mehreren hundert Zwergkanadagänsen lebt? Oder dass es in Rheinland-Pfalz Kanadische Biber gibt? Glaubt ihr auch, dass unser Eichhörnchen in Deutschland vom amerikanischen Grauhörnchen verdrängt wird? Ich halte solche Wissensdefizite, die selbst bei vielen heimischen Biologen, Ornithologen oder Birdern vorhanden sind für ein Ergebnis der systematischen Missachtung vieler Neozoen, einfach weil sie unbeliebt sind. Dem könnte man mit solchen Listen entgegensteuern.

MfG Maffong
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Josefine
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#12

Beitrag von Josefine »

Ich kann die Änderungen irgendwie nur bei "Mohrenlerche" nachvollziehen und begrüßen.

Letzlich können gerne alle nach mir kommenden Birder-Generationen die neunen Namen verwenden, aber ich bekomm die "Alten" nicht so schnell aus meinem Wortschatz.
Bodo
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#13

Beitrag von Bodo »

marionvier hat geschrieben:
25 Jan 2019, 14:13
Die einzige mir einleuchtende deutsche Neu-Namensgebung:
Schwanzmeise
-Streifenkopf-Schwanzmeise
- Weißkopf-Schwanzmeise.
Hier ist Kompetenz für die Namensgebung vorhanden. Ansonsten kann man nur auf den Beitrag von Bodo verweisen.
Ich stimme dir dahingegend zu, dass eine deutsche Namensgebung durch ein Gremium von Ornithologen hier gerechtfertigt ist. Ich bezweifle aber, dass dies eine wirklich gute Entscheidung war. Ich denke an die Bestimmungsunsicherheit vieler Beobachter bezüglich ssp. caudatus (die bei nicht idealen Beobachtungsbedingungen wegen der Wuselkigkeit der Schwanzmeisen auch öfter für Experten zutrifft). Die Namensgebung verleitet dazu weißköpfige auch als Weißkopf-Schwanzmeise zu melden (aber es kommt ja nicht nur auf den weißen Kopf an). In Ostdeutschland gibt es (auch zur Brutzeit) viele rein weißköpfig erscheinende. Schon bisher ist eine Auswertung der Meldungen ssp. caudatus für ein realistisches Bild des Vorkommens kaum möglich. Ich fürchte, das Problem wird größer werden.

Vielleicht hätte man es doch im Deutschen bei einfach Schwanzmeise belassen sollen. Für die Systematik sind ja die wissenschaftlichen Namen sowieso besser geeignet.

Gruß Bodo
marionvier
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#14

Beitrag von marionvier »

Zunächst möchte ich auf die Ausführungen von Mathieu eingehen. Ja, als Nicht-Biologe ist es schon "mutig", sich mit dem Klappergrasmücken-Komplex zu beschäftigen. Schuld daran waren die niederländischen Nachbarn. In Dutch Birding gab es vor ein paar Jahren eine offene und sehr lehrreiche Diskussion zu dem Thema. Keine Geringerer als der Genetiker Peter de Knijff und auch der für die Artenliste zuständige Ornithologedie A. van den Berg führten eine offene!! Diskussion. Ich habe mir beim Lesen das Gehirn verrenkt aber der Lerneffekt war enorm. Und wenn ich eine Brücke zu Deutschland schlagen darf : Eine offene Diskussion zur neuen Artenliste findet nicht statt und man fragt sich, ob sie überhaupt erwünscht ist.

Zu den Neozonen: Es gibt ja eine "Schwarze Liste" unerwünschter Vogelarten. Ich kann mich erinnern, dass mit Bauer eine kontroverse Meinung geführt wurde. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Beseitigung unerwünschter Vogelarten waren haarsträubend (z.B. Vergiften).

Grüße
Marion
marionvier
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Re: Abschied vom Ziegenmelker?

#15

Beitrag von marionvier »

Bodo hat geschrieben:
25 Jan 2019, 16:36
marionvier hat geschrieben:
25 Jan 2019, 14:13
Die einzige mir einleuchtende deutsche Neu-Namensgebung:
Schwanzmeise
-Streifenkopf-Schwanzmeise
- Weißkopf-Schwanzmeise.
Hier ist Kompetenz für die Namensgebung vorhanden. Ansonsten kann man nur auf den Beitrag von Bodo verweisen.
Ich stimme dir dahingegend zu, dass eine deutsche Namensgebung durch ein Gremium von Ornithologen hier gerechtfertigt ist. Ich bezweifle aber, dass dies eine wirklich gute Entscheidung war. Ich denke an die Bestimmungsunsicherheit vieler Beobachter bezüglich ssp. caudatus (die bei nicht idealen Beobachtungsbedingungen wegen der Wuselkigkeit der Schwanzmeisen auch öfter für Experten zutrifft). Die Namensgebung verleitet dazu weißköpfige auch als Weißkopf-Schwanzmeise zu melden (aber es kommt ja nicht nur auf den weißen Kopf an). In Ostdeutschland gibt es (auch zur Brutzeit) viele rein weißköpfig erscheinende. Schon bisher ist eine Auswertung der Meldungen ssp. caudatus für ein realistisches Bild des Vorkommens kaum möglich. Ich fürchte, das Problem wird größer werden.

Vielleicht hätte man es doch im Deutschen bei einfach Schwanzmeise belassen sollen. Für die Systematik sind ja die wissenschaftlichen Namen sowieso besser geeignet.

Gruß Bodo
Deutschland ist klein- dennoch sind die regionalen Unterschiede groß. Hier im Südwesten habe ich zur Brutzeit noch nie eine weißköpfige Schwanzmeise (oder Zwischenform) gesehen. In den Wintermonaten sind sie hier eine absolute Rarität. Eine spannende Geschichte die es wert ist, ganz pingelig untersucht zu werden. Da hat Bodo schon Recht!

Grüße
Marion
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