Steinschmätzer, juv. oder ein junger Würger?

[Gerwin Baerecke]

Hallo und guten Tag in die Runde,
eine Bekannte schickte mir die Bilder mit der Frage, ob dies ein Spatz sei. Nun bin ich nicht völlig unerfahren, dass das kein Spatz ist, sehe ich. Mein erster Gedanke war "junger Steinschmätzer", das teilen auch die Ornithologen bei uns im Naturwissenschaftlichen Verein. Bei genauem Hinsehen erkenne ich aber einen gekrümmten Oberschnabel, und den habe ich bei einem Steinschmätzer noch nie gesehen.
Die Bilder sind in der Nähe von Oschersleben/Sachsen-Anhalt aufgenommen, und zwar am 08.07.2023. Das Recht zum Posten hier im Forum hat mir die Fotografin erteilt.
Geht da was?
LG Gerwin

[Alcedo_]

hallo Gerwin

die leicht gebogene Spitze des Oberschnabels, das sogenannte Dertrum, ist bei vielen Jungvögeln und immaturen Insektenfressern mit Pinzettenschnabel ausgeprägter als bei Adulten. so auch bei den Steinschmätzern. das Keratin ist dann noch ganz frisch und unbenutzt. das ändert sich bei Gebrauch (wenn selbst gejagt werden muss) dann allmählich und wächst nur sehr langsam nach.

Gruß
Alcedo

[Skua]

Mir fällt da gerade auch wenig zu ein, aber das Jugendkleid bis 1W sieht beim Steinschmätzer doch deutlich anders aus. Die Maske kommt doch erst bei ad Vögeln. Ein Würger ist das mit dem langen dünnen Schnabel auch nicht. Mit den Juvenilen der andere, hier seltenen, Steinschmätzern kenne ich mich nicht aus, da müsste ich Literatur wälzen...

[Alcedo_]

das ist definitiv ein Steinschmätzer.
aber du hast recht, Skua: kein diesjähriger. man sieht sogar ein wenig das Weiß vom ausgefärbten Schwanzgefieder. nicht brütende Männchen sehen so aus.
da tippe ich mal auf einen Einjährigen. ob man den noch als subadult bezeichnen kann, weiß ich nicht.

und dass die so stark Mausern hab ich noch nie gesehen. habe allerdings bei Schmätzern nicht viel Erfahrung.

Grüße
Alcedo

[Holyhead2]

man sieht sogar ein wenig das Weiß vom ausgefärbten Schwanzgefieder. nicht brütende Männchen sehen so aus.
da tippe ich mal auf einen Einjährigen.

Also dass man anhand der Zeichnung der Schwanzfedern auf das Alter schließen kann stimmt nicht.

Generell machen alle adulten Steinschmätzer vor dem Wegzug ins Winterquartier eine Vollmauser (alle Federn werden ersetzt) durch. Die hier bräunlichen Flanken- und Brustfedern sind bereits frisch vermausert (durch Abnutzung der Federränder werden diese braunen Federn im Laufe des nächsten Kalenderjahres wieder heller).

Dass die im Juli und August so stark mausern ist also ganz normal.

@ Alcedo: wenn du in einem Gebiet lebst in dem Steinschmätzer nur am Zug zu sehen sind, dann siehst du automatisch keine mausernden Exemplare, da dann die Mauser bereits abgeschlossen ist.

Ob der Vogel vorjährig oder älter ist kann anhand der Fotos übrigens nicht bestimmt werden.

Vorjährige Exemplare lassen sich vor allem im Frühjahr von den adulten anhand der jugendlichen (unvermauserten) und daher bräunlich wirkenden Schwingen bestimmen.

LG

[Alcedo_]

Danke für die Korrekturen, Holyhead. auch für die Erläuterung des Mauserablaufs.

kannst du das mit der Schnabelspitze bestätigen? lässt der Zustand des Dertrums Rückschlüsse auf das Alter des Vogels zu?

@Gerwin
Stand jetzt:
Steinschmätzer ♂ Oenanthe oenanthe
mindestens einjährig, womöglich älter.

Grüße
Alcedo

[Gerwin Baerecke]

Hallo und guten Morgen in die Runde,
zunächst erst einmal ganz herzlichen Dank für Eure Beiträge.

Ich habe inzwischen auf naturgucker.de alle Bilder zum Thema Steinschmätzer angesehen (schweißabwisch). Bei den Jungvögeln ist in der Tat eine leicht gebogene Spitze des Oberschnabels zu erkennen, jedoch bei keinem einzigen der mehr als einjährigen oder älteren Vögeln. Außerdem ist der "Hakenschnabel" bei diesem Exemplar sehr viel ausgeprägter und daher besser zu erkennen als bei den abgebildeten Jungvögeln. Auch meine eigenen Beobachtungen und Fotos von (adulten) Exemplaren zeigen diese Eigenheit nicht.
Deshalb hatte mich das zweifeln lassen. Wenn ich das Tier selbst vor Ort beobachtet hätte, wären die Zweifel an der Artzugehörigkeit vielleicht gar nicht aufgetaucht.

Ich bedanke mich noch einmal und hoffe, dass wir das mit der Schnabelspitze vielleicht auch noch klären können.
LG Gerwin

[Holyhead2]

Was den langen Oberschnabel des Steinschmätzers anbelangt: grundsätzlich wächst ein Schnabel eines Singvogels permanent. Einerseits nutzen sich Ober- und Unterschnabel gegenseitig ab, andererseits werden Schnäbel auch bei der Nahrungssuche/Aufnahme permanent abgenutzt.

Eine kleine Fehlstellung des Schnabels reicht schon, sodass die jeweiligen Spitzen von Ober- und Unterschnabel aneinander vorbeizeigen und sich nun nicht mehr gegenseitig abnutzen. Dann wächst der Oberschnabel meist hakenförmig nach unten. Das kann nach einiger Zeit sogar dazu führen, dass ein betroffener Vogel irgendwann keine Nahrung mehr aufnehmen kann und verhungert.

Im konkreten Fall könnte eine Schnabelfehlstellung diesem auffälligen Oberschnabel zu Grunde liegen.

Hier ein Extrembeispiel bei einem Drosselrohrsänger (Quelle: club300.at)



LG

[Gerwin Baerecke]

Wow, dankeschön! Ich denke, damit dürfte das "Problem" zumindest aus meiner Sicht befriedigend gelöst sein. Und - ich habe wieder etwas Neues gelernt! Also nochmals vielen Dank!
LG Gerwin